Ein Verhältnis in einer Phase der Spannungen.
Zur Fortsetzung der Adalbert-Lectures zu den deutsch-polnischen Beziehungen in Berlin
„Das Thema der deutsch-polnischen Beziehungen hat mich ein Leben lang beschäftigt“ – so pointiert begann Prof. Gesine Schwan ihren Vortrag im Rahmen der Reihe „Wege der Verständigung und Möglichkeiten der Zusammenarbeit im deutsch-polnischen Verhältnis“. Die Adalbert-Stiftung setzte die Reihe der „Adalbert-Lectures“ in Kooperation mit der Stiftung Berliner Mauer fort und dies im Besucherzentrum der Gedenkstätte Berliner Mauer. Prof. Hans Süssmuth und Prof. Axel Klausmeier skizzierten bei ihren Grußworten als Stiftungsvorsitzende Bezüge des Themas zum Datum des 9. November, dessen in Berlin in einer Vielzahl von Veranstaltungen gedacht worden war.
Polen von der westlichen Seite her zu kennen – bilateral und darüber hinaus: das sei Ausgangspunkt ihrer Sicht und Analyse, meinte Gesine Schwan, die u.a. den Ruf einer „kompromisslosen Denkerin“ hat. Die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze im Warschauer Vertrag von 1970 war ein wichtiger Schritt im deutsch-polnischen Verhältnis. „Der polnische Historiker Bronislaw Geremek sagte 1987 in einem Gespräch zu mir: Polen ist für die Wiedervereinigung Deutschlands.“ Prof. Schwan sah darin einen Beleg dafür, dass Polen immer weiter gedacht haben als die Menschen in Deutschland. Zudem verstanden sich die Deutschen als Wohltäter von Polen. „Die Partnerschaft zwischen Deutschland und Polen ist immer wieder durch eine deutsche Betreuungshaltung gefährdet.“ Für die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen sei die Regierung „nicht alles. Ganz wichtig ist die Zivilgesellschaft.“ Wenn etwas zur wirklichen Verständigung führen soll, dann sei dafür die Einbeziehung der Menschen entscheidend. Dabei könne es nicht ein Leitprinzip sein, sich an die Stelle der anderen zu setzen, wohl aber, sich in die Stelle des anderen zu versetzen. Das entspreche der Gerechtigkeit.
Nach einer Zeit des kooperativen Verhaltens und der zivilgesellschaftlichen Initiativen bis in die erste Zeit der PiS-Regierung hinein seien wir nun nicht zuletzt im deutsch-polnischen Verhältnis in einer „Phase der Spannungen“ angekommen. Die ökonomische Globalisierung habe immer mehr zu Gegensätzen zwischen arm und reich geführt wie auch zu politischen Spaltungen – auch in Polen. Es komme zu strukturellen Verwerfungen, und die Wut gebe sich immer mehr freien Lauf. „Das Vokabular in der Öffentlichkeit steckt in einer Aufrüstungsspirale.“ Auch wenn die Politik in den Nationalstaaten zu großen Spannungen geführt hat, lässt sich in den Kommunen vieles gestalten. In Deutschland werde kaum wahrgenommen, dass etwa im Osten Polens viele Städte bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Darin äußere sich auch ein Arbeitsplätze-Bedarf. Es gebe viele Aufgaben in den Gemeinden, für die eine Partizipation der Bürgerinnen und Bürger sehr wichtig sei. „Städtepartnerschaften zwischen polnischen und deutschen Kommunen sind zu stärken. Sie müssen durch die EU gestützt werden. Und polnische Städte sollte man hier unterstützen.“ Prof. Schwan schloss ihre Ausführungen: „Angesichts der Infragestellung der Gewaltenteilung wie zurzeit durch die polnische Regierung ist die Würde der Menschen anzumahnen. Die Stärkung der Gesellschaft bedarf der Macht in den Gemeinden. So kann die Verbindung auf Augenhöhe gefördert werden.“
In der Diskussion unter der Moderation von Prof. Hans Hermann Henrix, Vorstandsmitglied der Adalbert-Stiftung, meldeten sich zustimmende wie auch kritische Voten. Eine in der Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene tätige Hörerin meinte, das Interesse an solcher Zusammenarbeit sei auf polnischer Seite stärker als in Deutschland, was Frau Schwan zustimmen ließ: „Sie haben völlig recht. Die polnische Seite ist sehr gut aufgestellt etwa in der Informatik.“ Eine weitere Teilnehmerin fragte, was denn die Normalität in der deutsch-polnischen Beziehung fördern könnte, was Frau Schwan feststellen ließ: „Die Ziele normaler Beziehungen lassen sich auf der Ebene der Kommunen besser zur Anerkennung bringen als auf der Ebene der Regierungen.“ Ein anderer Hörer meinte, es bestünden zweifellos Asymmetrien im deutsch-polnischen Verhältnis, und die Dominanz der Deutschen müsse korrigiert werden. Dazu meldete sich eine Erinnerung an den Historiker und Publizisten Władysław Bartoszewski (1922-2015), der als Botschafter seines Landes wie auch als mehrjähriger Außenminister Polens auf die Normalität der Beziehung zwischen den Menschen setzte und die Stärkung der Zivilgesellschaft anzielte. Frau Schwan unterstrich, dass man nicht zu schnell auf Kompromisse zugreife. Wichtig sei, dass man Verabredungen nicht brechen darf.
Professor Henrix dankte Prof. Gesine Schwan für ihr Referat wie auch für ihr Eingehen auf die vorgetragenen Anfragen und Voten. Mit dem Dank an Prof. Klausmeier für die Kooperation lud er zum anschließenden Empfang ein, bei dem die Gäste engagiert und lebhaft weiter diskutierten – untereinander und mit Gesine Schwan, die an diesem Abend aus ihrer Erfahrung als mehrjährige Polen-Beauftragte der Bundesregierung und als Wissenschaftlerin der politischen Theorie ein großes Spektrum von Aspekten in den deutsch-polnischen Beziehungen zur Sprache bringen konnte.