Reihe der Adalbert-Lectures in Berlin erfolgreich eröffnet
Die Adalbert-Stiftung konnte ihr neues Veranstaltungsprofil der „Adalbert-Lectures“ im Haus der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen in Berlin erfolgreich eröffnen. Sie hatte zum Thema „Eine herausgeforderte Nachbarschaft. Szenarien zur Gegenwart und Zukunft der polnisch-deutschen Beziehungen“ den polnischen Botschafter Prof. Dr. Andrzej Przyłębski als Gastredner gewinnen können. Dieser gab eine aspektenreiche und kritische Analyse und Kommentierung dieser Beziehungen. Zu seinem Auditorium gehörten u.a. die Botschafter Tschechiens und der Slowakei, aber auch Professorin Rita Süssmuth, die mit weiteren Gästen das Angebot freundschaftlicher Kontroverse annahm.
Botschafter Przyłębski, der sein Land seit Juli 2016 in Berlin vertritt, begann mit einem persönlichen Bekenntnis. Er sei ein Vertreter Polens, der „mit der Politik der derzeitigen Regierung sehr einverstanden“ ist. Zur Geschichte der polnisch-deutschen Beziehung knüpfte er an eine Kennzeichnung an, die er im letzten Herbst bei einer Veranstaltung zu hundert Jahren deutscher Polenpolitik geäußert hatte: „In meinen Augen sind mehr als die Hälfte der letzten hundert Jahre von deutscher Polenpolitik eine Katastrophe gewesen.“ Er erläuterte diese These mit den Hinweisen, dass die deutsche Politik in der Weimarer Zeit nicht sehr freundlich zu Polen war, der Zweite Weltkrieg Polen sechs Millionen Opfer gekostet habe und es nach diesem Krieg eine Verschiebung des Staatsgebiets zuungunsten Polens gegeben habe. Zugleich wies er auf wichtige Ereignisse hin, die eine Wende zum Besseren begonnen haben: Das historische Wort der polnischen Bischöfe von 1965: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ und Willy Brandts Kniefall am Warschauer Mahnmal des Ghetto-Aufstands. Schließlich erinnerte er sowohl an die Solidarnosc-Bewegung, die sehr früh ihr Einverständnis mit einer deutschen Wiedervereinigung signalisiert hatte, wie auch an die Antwort der deutschen Politik und Menschen, die mit gelben Paketen den Menschen in Polen sehr geholfen haben.
Sorge bereite ihm das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zur derzeitigen Regierung in Polen, die seit vier Jahren die Verantwortung für die Politik trägt. Die PiS-Partei, die Partei für „Recht und Gerechtigkeit“, gewann 2015 die Wahlen, weil sie Reformen versprach und dieses Versprechen dann auch einhielt. Als Ergebnisse dieser Politik nannte Botschafter Przyłębski u.a.: Gesetze zur Regelung der Wirtschaft, die Reform der Armee und des Rentenalters. Das „500-plus“-Programm habe mit ihrem Zuschuss für Familien viele Familien aus der Armut herausgeführt. Die Bevölkerung sei gewachsen. Und das Schul- und Hochschulsystem sei von seinem postkommunistischen Ballast befreit worden. Die deutschen Medien seien jedoch vorwiegend für die polnische Opposition und sperren sich gegen die derzeitige Entwicklung in Polen. Umgekehrt mache man sich in Polen Sorgen über die deutsche Entwicklung, die deutsche „Willkommenskultur“ und die wachsende Säkularisierung. Erstaunen rief seine Gegenüberstellung wach: „Polen bleibt eine moderne Gesellschaft, und Deutschland wird vielleicht eine postmoderne Gesellschaft.“
In der Diskussion unter der Moderation von Prof. Hans Hermann Henrix, Vorstandsmitglied der Adalbert-Stiftung, ergab sich eine pointierte und zugleich freundschaftliche Kontroverse. Ein pensionierter Beamter bei der EU wies auf unterschiedliche geschichtliche Erfahrungen hin und betonte angesichts des gegenwärtigen Desasters um den Brexit die Notwendigkeit enger Partnerschaften. Botschafter Przyłębski entgegnete, dass er nicht generell die EU kritisiere, sondern er habe besonders die derzeitige Leitung im Blick. Er nannte hier nicht den Namen des Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk, den er zuvor bei der Kritik an der polnischen Politik vor der PiS-Regierung mehrfach kritisch erwähnte, sondern Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Ein Hörer aus dem Auswärtigen Amt wies u.a. darauf hin, dass die Hälfte der PiS nicht den Kontakt mit Deutschland pflegen will und dass die polnische Justizreform den Anlass zum kritischen Einwurf gebe, dass die von ihr nicht bestätigten drei Verfassungsrichter 2015 ordnungsgemäß berufen worden seien. Der Botschafter verneinte in seiner Darstellung der Justiz-Reform die Ordnungsgemäßheit der angesprochenen Richter-Berufung und äußerte die Zuversicht, dass der polnische Präsident Andrzej Duda die schwierige Lage beruhigen könne.
In ihrem kritischen Votum meinte Rita Süssmuth, dass sie die deutsch-polnische Beziehung viel positiver als dargestellt erlebe. „Bei aller Verschiedenheit haben wir von der jüngsten Entwicklung profitiert.“ Es seien die Gemeinsamkeiten stärker zu betonen, wie Helmuth Kohl von Beginn seiner Kanzlerschaft an als Ziel die weitere europäische Integration anstrebte. „Was ist die gegenwärtige Auffassung? Was ist jetzt zu tun?“ In seiner Antwort wies der Botschafter auf zwei Themen hin: Angesichts des Gegenübers von moderner und postmoderner Gesellschaft plädiere er für eine Rückkehr zur Moderne, nicht für eine Förderung der Postmoderne; er stützte seine These mit Hinweisen auf die von ihm sehr kritisch eingeschätzte Entwicklung der Familie und ihrer Auflösung. Seine zweite Antwort bestand in der Forderung: „Die EU sollte mehr auf die neuen Mitglieder hören.“
Professor Henrix dankte Botschafter Przyłębski für seine Ausführungen im Referat wie auch in den Entgegnungen auf vorgetragene kritische Anfragen. Manches sei dem einen oder anderen Gast ungewohnt erschienen – wie etwa die so positive Analyse einer guten Entwicklung in Polen seit der PiS-Regierung und die unverhohlene Kritik der Jahre der Regierung von Donald Tusk als Ministerpräsident, aber auch die Einschätzung von Kommentaren des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle als „überheblich“. Insgesamt habe man einen lebendigen und freimütigen Austausch mit vielen Aspekten und Perspektiven erlebt. Es sei ein erfolgreicher Beginn der Adalbert-Lectures gewesen. Der Moderator dankte dem Haus der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen und seinem Referenten Sebastian Gröning-von Thüna als Gastgeber. Die lebhafte Diskussion setzte sich beim anschließenden Empfang informell fort und sollte das Interesse an der Fortsetzung der Adalbert-Lectures geweckt haben. Am 26. August wird ein junger Wissenschaftler der Universität Oxford, Dr. Stefan Szwed, über die deutsch-polnischen Beziehungen im Licht der deutschen Wiedervereinigung sprechen.